was ich bin

 

 


den text gibt es zum hören in audio-version (link), stimme: frank wartenweiler, musik: veronika ehrensperger 

 

ich bin nicht meine krankheit. was ich nicht eins nach meiner krankheit gefragt werde – unmöglich! ihr wisst nichts und versteht nicht mehr von mir, wenn ihr den idiotischen namen dieser krankheit kennt. ich bin todkrank. das sollte reichen. wollt ihr was über schmerzen wissen?

ihr habt schon diese fräsen gesehen, diese kreisrunden, grossen, schmalen und scharf gezackten scheiben aus stahl, die sich mit einem ohrenbetäubenden lärm und viel gezisch ganz langsam durch harte strassenbeläge fressen. nun stellt euch vor, so ein ding frisst sich durch euren körper. so in etwa fühlen sich meine schmerzen an. nett, nicht? damit wisst ihr mehr als genug. ich sage es nochmals: ich bin das nicht. das ist etwas, was mir geschieht – mehrmals am tag. fürchterlich!

ich bin etwas anderes: ich bin eine explosion an kreativität auf vielen ebenen. gerade eben sind es worte, die aus mir platzen. aber dann wieder will ich und muss ich zeichnen, weil das eines der wenigen dinge ist, die sinn machen. und neuerdings, mit einer musikerin zusammen, fügen sich worte zu lauten … die berühren. berühren, das ist mein element, meine berufung. dazu bin ich da, schon seit langem

dem ist eine grenze gesetzt, ob erst in jahren oder in den nächsten augenblicken. wenn die säge durch den körper zieht, spüre ich deutlich, dass es nicht mehr allzulange dauern kann. ah, was kümmert mich zeit. zeit ist nicht geld. was für ein blödsinniger irrtum. zeit ist aber sehr wohl kostbar, denn je kürzer die spanne, die mir noch zur verfügung steht, desto grösser wird meine schöpfungskraft. das kann man nicht verstehen. auch ich verstehe das nicht. ich könnte tausende texte schreiben, tausende bilder malen, weil ich immer klarer höre und sehe. dazu reicht mir die zeit nicht. das ist wohl alles, was ich über mich sagen kann. und das wird enden. eines tages werde ich keine stifte mehr in die hände nehmen, weil ich tot sein werde

aber das ist bedeutungslos. ein weniges von dem, was ich geschrieben und gezeichnet habe, wird als spur zurückbleiben. einige behalten vielleicht eine zeichnung als erinnerung. der rest wird zu müll werden. ist auch egal, was damit geschieht. es geht nicht um das geschaffene, nicht um die spur, sondern um das schaffen selbst und, dass ich damit berühre. das ist das wesentliche und das endet nicht – ich werde von kreativität explodierend verschwinden, weiss gott wohin. vielleicht auch nicht: vielleicht werde ich gegen ende vollständig ermatten und in schweigen versinken … auch dann wird die bewegung der andauernden schöpfungskraft, das was ich bin, in irgendeiner form weitergehen. diese bewegung kann nicht enden, das fühl ich. niemand braucht das zu glauben. niemand braucht das zu verstehen. aber sagt mal: ist das nicht tröstlich?

 

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