entgleisung XII - viraler super-gau im denken


selbstporträt nachts - coron-angel beobachtet nächstes opfer für eine 'dis-danse macabre'


im alltag allerdings wasche ich morgens nach dem frühstück die pfoten, bunkere mich in meine vier wände ein, wie es die regierung verordnet, setze mich ans fenster, ziehe sorgfältig die schutzmaske über die virenbefleckten lippen und schaue durch dicke, schmutzige scheiben auf die strasse. für jeden ...


selbsporträt am tag - avec le virus


... passanten male ich mit kreide einen strich an die wand, jeder strich ein leben, das ich gerettet habe. wie ein edler ritter im mittelalter zähle ich am ende des tages die striche zusammen und komme meist auf mehr gerettete leben als der staat in den nachrichten neue coronatote aufweisen kann, hah, immerhin ... irrsinn, nicht?  wo führt das alles nur hin?


selbstporträt mit eleganter maske und strichliste


seit dem shutdown - alles wird geschlossen, alles weist nach unten - gleicht mein leben einem schauerroman, z.b. dem phantom der oper, oder dem eines vampir, womit auch - aktuell passend - tierische dämonen bezeichnet werden, fledermäuse, (luft)hunde

seit dem 'shitdown' (auch 'knockdown' für alle) treibt mich bei anbruch der dämmerung das böse hinaus: wie einst graf dracula haste ich als schatten düsteren hauswänden entlang auf der suche nach einem opfer. es ist krankhaft. es zieht mich zu den verängstigten, eingemummten, gebückten, maskierten, lebensmüd herumschleichenden. ich brauche nicht wie die untoten zuzubeissen, es reicht, dass ich im vorübergehen aus der 'dis-danse macabre' von maximal 1,99 meter huste - ein weiteres leben ist endgültig verwirkt ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?

düsteren hauswänden entlang hasten

endlich ist alle anspannung weg. erleichtert kehre ich nach hause zurück und verfalle in einen tiefen, traumlosen schlaf. nein, ich träume nicht mehr, brauche ich nicht, denn die alltäglich wirklichkeit hat meine schlimmsten albträume längst überflügelt ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?


es fing damit an, dass mir irgendwann menschen nur noch aus grosser dis-tanz begegneten. manche fielen bei meinem blossen anblick vom bordstein auf die strasse und jede begegnung begann mit stimmungstötenden kommentaren zu social distancing. als potentieller virusträger war ich zu einer lebensgefährdung für alle mutiert. das freundlichste lächeln konnte nicht darüber hinweg täuschen - im gegenteil. deprimierend. wenn ich schon ein solches übel für die gesellschaft darstelle, wurde weiter von mir erwartet, müsse ich mich ebenso als "beschützer", "helfer" oder "retter" aufführen. wie bitte? auf gut deutsch hiess es in diesem fall einst: verpiss dich! heute manipulieren mich plakate scheinfreundlich von den strassen weg: zuhause bleiben rettet leben. helfen sie mit ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?

zuhause bleiben rettet leben. helfen sie mit

innert wochen war ein neuartiges, machtvolles menschenbild entstanden, machtvoll weil in jeder begegnung physisch spürbar: jeder ist für jeden todesengel und retter zugleich. das dürfte der grösste segen sein, den das virus der menschheit beschert hat: dieses widersprüchliche, doppelgesichtige menschenbild ohne jede perspektive. nicht wirklich das virus selbst, wir haben als reaktion darauf diese geisterhafte vision des menschen geschaffen, die einer kurzgeschlossenen batterie gleicht: bei der gibt es kein ergebnis, ausser dass sich die batterie schnell und unter entwicklung grosser hitze sinnlos entleert ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?


früher verlangte retten ein tun, z.b. jemanden aus flammen retten. jetzt reicht eine un-tat (oh hoppla!). sie wird sogar verlangt: zuhause bleiben, an der digitalen nabelschnur, essen frei haus geliefert, etwas home-office, täglich ein paar leibesübungen bitte, so man hat auf dem hightech-hometrainer ... und dann warten, lange warten, erst auf desinfektionsmittel, dann masken, gummihandschuhe, dann auf eine impfung für alle, da die krise sich hinziehen dürfte ... auch auf weitere seuchen-peaks, auf eine ausweitung der risikogruppen, darauf dass das virus endlich getracked und gefangen wird, dennoch eine bösartige mutation des seuchenvirus folgen könnte und ganz bestimmt auch ein nächstes, noch viel böseres ... wir werden noch lange von dieser schauergeschichte zehren ... irrsinn, nicht? unterscheidet sich ein solches leben noch von dem einer mumie?


millionen sterben in kriegen, im strassenverkehr, an den folgen des klimawandels, an unserer lebensweise (z.b.übergewicht, auch eine pandemie), an hunger und armut. noch nie sind wir auf die idee gekommen, uns jeden tag in den nachrichten über jeden neuen hungertod in afrika informieren zu lassen. es war uns schlicht 'wurst' und bleibt es. überdies sind weltweit am *virus bisher nicht halb so viele gestorben wie an einer starken grippe mit 650'000 toten. dennoch haben wir für nichts anderes mehr augen als für dieses virus ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?

wir sind locked-in in diesem perspektivelosen widerspruch von todesengel/retter. er scheint sich überdies als dauerhaft erweisen zu wollen - wir haben diesen geist ja selbst gerufen. etwas freundlicheres oder nur schon vernünftigeres, vielleicht gar mutigeres ist leider niemandem in den sinn gekommen. vermeiden todesengel oder einfach für andere eine gefahr zu sein, ist ohnehin unmöglich, nicht einmal für fussgänger und natürlich schon früher nicht bei jeder husterei. dies wurde deshalb in einem gewissen mass toleriert. das ist vorbei jetzt. wir leben in einer von experten durch- (leider nicht immer ganz richtig) berechneten, angeblich kontrolliert abgesicherten welt, sozusagen garantiert ohne risiko - ha, glauben wir zumindest ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?

indoor-retter im bequemen sessel war nie mein ding. so ging ich nach draussen und verschwand ...

nirgendwo

dennoch, weil auch du jederzeit sterblich bist - hey, es kann im nächsten moment und ohne jede vorbereitung für immer aus sein! kleiner und schneller herzstillstand z.b. - bleibe ich dein einzig treuer begleiter, werde jedoch nicht erscheinen, bis ... tja, bis dann also ...

coron-angel maskiert auf dem weg zur 'dis-danse macabre' am coronaball


auch wenn das alles nicht fassbar ist, kann es gestalt annehmen in worten und bildern, als selbstporträt, auch jenseits aller tabus ... und so zumindest erleichterung bringen, im folgenden nochmals in gestalt der von mir verehrten baronesse de la couronne. auch sie geht nie ausser haus! und findet dennoch den weg in jedes haus. ihr trefft sie hier in den gängen ihres schlosses, auf ihren zarten, saugfähigen füssen unterwegs zur dis-danse macabre am coronaball, ihren schönen mund zum küssen bereits leicht geöffnet, bereit für ihre mörderisch heiss begehrten, aber tödlichen und deshalb eiskalten küsse. deshalb: harrt aus und ...


bleibt noch eine weile in diesem tollhaus
bitte.alle


geht nie ausser haus! und findet dennoch den weg in jedes haus


diese neue und kollektive form der negierung von lebensvitalität und -freude ist vielleicht auftakt für einen last waltz. vor uns sind schon viele kulturen gegangen. irgendwann muss man damit anfangen. auch wenn wir auf vital wichtige körperliche nähe, liebevolle berührungen und tröstliche umarmungen verzichten, einen feierlich-makabren untergang der zivilisation, der uns immer wieder angstvoll entsetzt erschauern lässt, das lassen wir uns nicht nehmen ... irrsinn, nicht? wo führt das alles nur hin?

nirgends. alles nichts als geschichten und nochmals geschichten ...


bleibt bei diesem irrsinn
bitte.alle