tabu II - über prüfungen und ihre experten
prüfungsstress ist verbreitet, mindert aber leistungen; ebenso die gegenwart von prüfungsexperten. das ist zwar tabu, aber ich plädiere deshalb für abschaffung beider mit einer ausnahme: der führerscheinprüfung. fahrkünste sind tatsächlich unter stress zu beweisen ...
vor kurzem hatte ich wieder einmal die ehre an einer prüfung teilzunehmen. ich war als diskussionsteilnehmer eingeladen. zwei studierende einer pädagogischen hochschule stellten ihre abschlussarbeit vor. ich erlebte eine spannende, lehrreiche präsentation mit anschliessendem fachgespräch auf hohem niveau. was nun die experten betrifft, wurde ich - und dies nicht zum ersten mal in meinem leben - zeuge einer zirkusnummer der extraklasse. ohne jemanden zu begrüssen, betraten sie den raum, setzten sich in eine bank und vermieden jeden blickkontakt mit den - freundlich gesinnten! - anwesenden. pädagogen sollten wissen, wie elementar umgänglicher und natürlicher kontakt ist, gerade in einer belastenden situation wie einer prüfung. würden diese experten ihrerseits eine prüfung bestehen? - natürlich geht es bei diesem benehmen noch um anderes: der inszenierung, dass experten scheinbar zu einer anderen klasse gehören, die sich nicht auf das fussvolk einzulassen braucht. da beginnt die alltägliche - gerade eben angst auslösende - arroganz der macht, denn es ist niemand da, der zugleich die experten prüft ...
nicht überraschend erzählten mir die studierenden weiter von beispielen, wie sie von ihren experten - ich kann es nicht anders sagen - gequält und entwürdigt worden waren. wie kann man bereits anerkannt qualifizierten prüfungsanwärtern z.b. erzählen, man werde schon dafür sorgen, dass sie bestehen. dies impliziert die vorannahme, dass deren leistung im grunde nicht genügten. so etwas ist nicht nur kränkend, es löst die berechtigte angst aus, man werde letztlich nicht bestehen
ich kenne kaum menschen, die angstfrei an eine prüfung gehen, und kaum prüfende, welche sich darum bemühen, in der prüfung eine angstfreie atmosphäre zu schaffen. eher schon solche, die im gegenteil die angst weiter schüren. wie soll in diesem klima ein mensch seine wahren fähigkeiten zeigen? die antwort ist einfach: gar nicht. deshalb: dieser mist gehört endlich abgeschafft. die menschheit kennt durchaus besser geeignete methoden, fähigkeiten zu erfassen, auch schönere und menschenwürdigere initiationsrituale. und das prüfungswesen lediglich zur selbsterhöhung der experten aufrecht zu erhalten, nun, das kann ich nicht anders anders benennen als perversen missbrauch von macht
ps: selbstverständlich haben die beiden studierenden bestanden, siehe feedbacks
anmerkung zu den bildern: obwohl ich es gerne getan hätte ... für einmal habe ich nicht in der öffentlichkeit gezeichnet, auch heimlich nicht. meine aufgabe als diskussionsteilnehmer hat mich vollständig in anspruch genommen. die drei studien sind im nachhinein entstanden und stellen eine fusion von erinnerten eindrücken mit beobachteten zufälligen, ebenso geeigneten modellen, die gerade im café sassen, in dem ich gearbeitet habe
tabu ist eine reihe von kurzen berichten zu themen, über die niemand ein wort verliert, weil wir alle denken, dass wir es schon besser wissen und uns deshalb schon gar keine gedanken mehr zu machen brauchen. weitere berichte siehe labels, stichwort "tabu"