mit stevenson in die cevennen (GR 70)




diesen sommer folgte ich endlich einer spur, auf die ich vor jahren durch die lektüre des buches eine reise mit dem esel durch die cevennen von robert louis stevenson (1850-1894) aufmerksam geworden war ...
der schottische schriftsteller reiste 1878 nach frankreich, kaufte sich für sein umfangreiches gepäck eine eselin, gab ihr den namen modestine und wanderte von  le-monastier-sur-gazeille bis st.-jean-du-gard. sein motto formuliert er im erwähnten 1879 erschienen reisebericht so: "for my part, i travel not to go anywhere, but to go. i travel for travel's sake. the great affair is to move." - wie passend. dem kann ich mich nur anschliessen

seine route ist durch seinen humorvollen bericht weltberühmt geworden und ist heute von ffrandonnee in einem topoguide gut dokumentiert als gr 70 (grand randonneée 70). sie führt durch einsame landschaften, kleine, gut erhaltene, alte ortschaften und in tiefe täler, u.a. an den allier, die quelle des lot, den tarn und den gardon







die tour geriet für mich zu einer reise in die stille und in den rhythmus des schreitens. es waren tage grossen friedens. gott sei dank war in all den schönen, alten dörfern dieser region einfach nirgends etwas los! keine spektakel, keine 'events' ... einfach nichts. wie heilsam, von nichts zerstreut zu werden. meist begleiteten mich nur die stimme des windes, vogelgezwitscher in endlosen wäldern, in den feldern gelegentlich tausende von grillen, manchmal das plätschern eines gewässers. es waren tage intensiver sinneserfahrungen, von gerüchen von kräutern aller art und blüten am wegrand, von erde, warmem holz, harzen in den nadelwäldern ... von leuchtenden bis tauben farben, von kühle, manchmal kälte und dann wieder hitze

hier scheinen büsche zu brennen, aber es ist ginster, der den wegen entlang gleich haufenweise blüht. wo weiden nicht mehr gepflegt werden, breitet er sich über die ganze weide aus




trotz des segens wohltuender einsamkeit auf weiten strecken bin ich mit so vielen menschen in freundschaftlichen kontakt gekommen wie selten auf einer wanderung zuvor, mit anderen wandernden und einheimischen. die einheimischen brachten mir natürliche gastfreundschaft entgegen und strahlten grosse lebensfreude aus: viele pfiffen munter vor sich hin, während sie ihren einfachen, alltäglichen verrichtungen nachgingen, so z.b. der händler der épicerie von chasseradès, während er ein stück einer baguette für mein sandwich grosszügig mit butter bestrich ... im vergleich dazu herrscht in zürich totengräberstimmung. der épicier bestätigte, dass er genau aus diesem grund in die region gezogen sei. von seiner terrasse aus entstanden die zwei folgenden zeichnungen










dann ging es endlich hinauf auf den kahlen mont lozère, wo kalter wind blies und wo ich eine traumhafte rundsicht hatte, bis zu den alpen. hinter dem gipfel beim abstieg dann ganz plötzlich eine andere, viel kargere landschaft































zwischen saint germain und saint etienne übernachtete ich bei isabelle und christian martin im schön restaurierten mas stevenson. welch herzliche gastfreundschaft; christian leidenschaftlich über das kochen: "alors, faire la cuisine, c'est entrer la fête ..." und er führt aus, wie er in gedanken an seine gäste das kochen geniesst. ich glaube ihm gerne. schon allein wenn er schildert, worauf es ankommt, wenn man butter in einer pfanne zergehen lässt, damit ein omlett gelingt, läuft einem das wasser im mund zusammen. und seine omlette à l'oseille (sauerampfer) ist traumhaft. für dieses ehepaar in den fünfzigern stehen freundschaft und zusammenarbeit mit anderen an erster stelle. sie vermitteln gelegentlich gäste an nachbarn, auch wenn in ihrem haus noch platz ist; dann haben auch sie mal, selten genug, einen tag frei. sie sind tüchtig, denn sie ziehen das ganze gemüse für ihre küche in einem riesigen, gepflegen garten selbst und produzieren erst noch safran für den verkauf, christian als imker überdies honig. diese menschen leben nicht von auszeichnungen oder qualitätssiegeln, umso mehr dafür aus der fülle und diese teilen sie gerne ...

dieser haltung bin ich auf meinem weg meist begegnet. in dieser atmosphäre hielt mir allerdings eine ausnahme auf lehrreiche weise vor augen, welchen schaden konkurrenzdenken anstellt

an einem ort gibt es direkt am stevensonweg lediglich einen recht grossen gîte d'étape. als ich dort schlafen wollte, war er ausgebucht. das war alles, was ich am telefon erfahren konnte. in der umgebung existieren allerdings an die 10 weitere übernachtungsgelegenheiten, wie ich am ort angekommen feststellte. deren betreiber leiden darunter, dass man sie im grossen gîte verschweigt, selbst wenn dieser ausgebucht ist! auch hier ist für alle genug vorhanden. da ist es eine bemerkenswerte leistung, wenn der grösste sich so verhält, dass die gesamte region einen realen schaden trägt, deren image eingeschlossen, denn von den gästen lebt er doch selbst. bemerkenswerterweise äusserten sich nicht einmal jene zufrieden, die im grossen gîte einen platz erhalten hatten. ich habe noch nie so klar vorgeführt bekommen, dass die besten resultate von konkurrenzdenken allgemeine missstimmung und die tatsache sind, dass letztlich alle verlieren. dennoch: in jener nacht habe ich in einer gemütlichen jurte auf der anhöhe in der chèvrerie des felges übernachtet, wo man herrlich mundende, dort hergestellte pélardons (ziegenkäse) zu essen bekommt







es war endlich zeit, den esel in einer zeichnung festzuhalten, der als begleiter von stevenson zu einem eigentlichen wahrzeichen dieser route geworden ist. in st.-jean-du-gard hat er modestine wieder verkauft und die wanderung beendet. und hier ist für mich zeit für musse: sei es mit einer fahrt nach anduze mit der historischen dampfbahn ...




... oder einfach im kühlen schatten der hohen platanen im café de l'univers die zeit verrinnen zu lassen ...




...oder den schlosspark mit eigenem bad und toller aussicht zu geniessen, denn ...




... das war doch ein würdiger abschluss des stevensonwegs: zwei nächte logierte ich im château de cabrières mitten im wald auf einer anhöhe über st.-jean-du-gard. der besitzer françois gab mir einen kurzen überblick über die ereignisreiche geschichte des schlosses, die bis 1616 zurück reicht. als ich mich frühmorgens auf den weg machte nach alès, habe ich mich nochmals umgedreht und zum abschied schnell eine kleine skizze des schlosses angefertigt

dann zog ich endgültig los, beine und füsse schon längst ockerbraun von der sonne, dunkler als die erde unter mir, das profil der sohlen meiner phantastischen lunasandalen von den rauen wegen nahezu weggeraspelt und das herz heiter und erfüllt von vielen wundervollen erinnerungen an schöne orte und an all die menschen, denen ich auf dieser route begegnet bin: dem humorvollen irisch/schottischen paar paul und ehefrau aus london, carole aus macon, die mir feinen marronikuchen von einem fest der transhumance auf dem mont lozère offeriert hat, daniel aus der region von alès, den vielen, vielen bretonen, odile aus franche-comté, mit der ich gemeinsam loszog an einem tag, als es eine wegvariante ohne signalisation zu benutzen galt und wir uns dabei gut unterhalten und manches mal gelacht haben ... und vielen, vielen anderen, deren namen ich nie erfahren habe ...