optimissmut V - wa(h)re qualität und qualitätssicherung


Rückbau der "Saceba", 2010


als wir mit dem radikalen rückbau aller einst selbstverständlichen qualität begannen, wurde ein neues wort geschaffen - qualitätssicherung. das dürfte in den neunzigerjahren gewesen sein ...
seither wird qualität von handelswaren und dienstleistungen immer mehr durch gütesiegel ersetzt, die manchmal sogar golden schimmern. dies erweckt wenigstens den anschein vom verlorenen gut 'qualität'. genau so wie das siegel selbst nicht aus gold ist, sondern nur aus gold zu sein scheint ...

----------




der ort war noch nicht einmal so klein. dennoch: schalter, warteraum, kiosk, toiletten ... alle türen seines bahnhofsgebäudes waren verbarrikadiert, der ursprünglich schöne bau am verrotten, die steige menschenleer, die umgebung unwirtlich - kurz der bahnhof war ein einziger schauplatz erbärmlicher schande. ausser den abfahrtszeiten keine einzige information. auch kein billettautomat. ein vorzeigebeispiel für schlankes wirtschaften: reduktion auf weniger als das nötigste. würde ich ohne billett in den nächsten zug steigen, hätte ich sogenannt 'eigenverantwortlich' als erstes mit einer busse zu rechnen. zum trost würde irgendwo im zug ein gütesiegel mit iso-zertifizierung vortäuschen, dass alles mit rechten dingen zugeht

---------

heute haben dinge nicht qualität - sie sind qual-invalid! denk nur mal an deine kleider: selbst wenn sie beim kauf noch schmuck aussehen, viele davon sind billige massenware. die arbeitsbedingungen, unter denen sie von näherinnen in fernen ländern hergestellt werden, sind anerkannt miserabel. hier würde niemand unter solchen bedingungen arbeiten wollen - auch ein qualitätsausweis! oder nimm unsere nahrung aus der nahrungsmittel-"industrie" ... allein vom begriff kann einem übel werden. was wir essen, wird alles industriell manipuliert, vom salatkopf im plastikbeutel bis zu speisen, die nach "wissenschaftlichen" kriterien optimal für den organismus neu "komponiert" wurden, danach noch künstlich aromatisiert, damit sie überhaupt schmecken! warum haben kinder mehrerer länder wachstumsstörungen, die mit solchen erzeugnissen aufwachsen? von der aromaindustrie weiss kaum jemand etwas. sie wirkt praktisch unerkannt und geschickt im verborgenen. von ihr manipulierte erzeugnisse können zwar unseren geschmackssinn täuschen, unmöglich jedoch die biochemie des organismus, der mit störungen antwortet, chronischen krankheiten, übergewicht ... über die sich dann alle wundern. was unserer lebendigkeit zugute kommen sollte, führt zu qual und macht uns invalid


wochenmärkte gehören zu den wenigen orten, an denen sich wahre qualität findet. bezeichnenderweise sind das zugleich orte grosser lebendigkeit. das ursprüngliche kriterium für qualität ist: was für unsere lebendigkeit gut ist. wer vergessen hat, woran man lebendigkeit erkennt: daran, dass man sie fühlt

---------

ich habe mit vielen menschen gesprochen, die in ihrer arbeit "verordneten" qualitätssicherungsprozessen unterworfen sind. dass diese notwendig seien, basiert auf einer subtilen unterstellung, die menschen gegenüber grosse verachtung zum ausdruck bringt: menschen scheinen nicht von sich aus leistungen von guter qualität erbringen zu wollen - dies allein ist bereits demotivierend. kein wunder bin ich also nie auf begeisterung gestossen, sondern auf lustlosigkeit, verärgerung, entmutigung; reaktionen welche die motivation untergraben. das ist nun eine einfache sache, die man nicht erst zu messen braucht: wo die motivation gemindert wird, sinken engagement und damit qualität! das ist schon ein resultat: qualitätssicherung als massnahme zur senkung von qualität. sie ist in erster linie eine durchdachte geldmaschine, mit wenig bis null nutzen für die sache, aber mit einer gehörigen portion eigennutz: denn wenn sie qualität zu senken versteht, muss man immer wieder neu messen. so erschafft eine massnahme sogar ihre legitimation auf billige weise selbst immer von neuem - ein hinterhältiger erfolg des neoliberalismus. ich könnte nicht einen einzigen vorteil nennen, den mir das menschenverachtende, neoliberale wirtschaften gebracht hat. leid dagegen viel! so werde ich stets misstrauisch, wenn ich irgendwo ein gütesiegel prangen sehe. frage mich sofort, was da faul ist. echte qualität braucht kein siegel, sondern spricht sich von selbst herum ...

---------

wo heute der mensch als greifbares, verbindliches und kompetentes gegenüber fehlt, kann man auf ein - wenn man glück hat - 'glänzendes' gütesiegel zählen. das ist wunderschön, denn es macht auch jedes eigene urteil über den wert einer ware oder dienstleistung überflüssig: jetzt weiss jede app es besser als sinne, gefühl und kopf. fröhliche zuversicht ist angesagt ... ein anlass mehr für optimissmut


Collage 2016

---------

vor jahren - selbst in ausbeuterische arbeitsverhältnisse des neoliberalismus eingespannt, in denen stupide qualitätsoptimierungsprozesse meine motivation bremsten und wahrscheinlich auch meine leistung - habe ich mir eines tages mit grösstem vergnügen luft gemacht in der gestalt eines "jahresberichtes", eines poems zu diesem thema:

jahresbericht am neoliberaltar


folgsam
wie ein kind
erbrach
ich
im berichtsjahr
:
ein grosses kerngeschäft
strukturbereinigt mit ein bisschen marktorientierung
ein verbesserbares ergebnis und ein vergessbares
einundeinhalb liter
leitungs-sauff-trag
Strassenkehrer, Airole (I) 2007
zwei definierte ziele
eines nicht ganz erreicht das andere knapp verfehlt
etwas qualitäts-man-“ätsch“-menthohl (sehr hohl)
für innovativen selbstgeruch
einen markt-ab! - zep-“tanz“
juhui, mit dir
im drei-viertel-takt
mehrere qualitätssicherungen
allesamt durchgebrannt
wenig wirtschaftlichkeit
zwei ökonomische gesichtspunkte
ebenso viel effiziente entscheide
die nachprüfbar wirkungslos geblieben sind
erstaunlich viel naschbarkeit
entschuldigung: machbarkeit
und
dreikommanullfünf messbare wovon eines nicht


kunde (ängstlich): ertrag?
banker (erstaunt): ---
kunde (entsetzt): bitte? ertrag is weg?
banker (unwirsch): ja, er trag es weg, so-fort!