der blick nachts aus meinem zimmer im gepflegten und schön gelegenen rifugio in realdo. es ist still hier, sehr still, tagsüber kaum jemand in den engen gassen, vielleicht mal der klang von stimmen aus einem haus, nachts nur stille und ab und zu der laut eines käuzchen ...
einsam, still, rauh und wild, aber auch von einzigartiger schönheit, war die landschaft auf diesem weg die ganze zeit über. meist war es ebenso still in den - seltenen - ortschaften. in realdo, dem höchsten "village perché" auf meinem weg gerade unterhalb des monte saccarello, leben kaum mehr als vier menschen das ganze jahr über. aber der ort ist dennoch gut erhalten und sauber. viele kleine gemüsegärten beweisen, dass menschen hier sich noch selbst versorgen. es gibt auch eine trattoria mit bar und das rifugio, eine einfache unterkunft für wanderer. gianpiero de zanet, der besitzer ist einer dieser vier einwohner. mit etwa 60 wurde der ingenieur und spezialist in datenanalyse arbeitslos, musste sich nach einer neuen aufgabe umsehen und hat dann das rifugio gekauft und ist so vom lauten san remo in die abgeschiedenheit von realdo gezogen. hier arbeitet er mittlerweile wieder in seinem beruf und engagiert sich für einen sanften tourismus in der region. gleich drei wichtige fernwanderwege verlaufen in der nähe - die grande traversata delle alpi (gta), die alta via dei monti liguri und die via alpina. ein restaurant führt er selbst nicht, aber wenn er jemanden mag, lädt er ihn zum nachtessen ein. das glück dieser gunst fiel mir zu und er servierte mir köstliche speisen verbunden einem bereichernden gespräch. u.a. überraschte er mich mit farinata, eine ligurische spezialität aus kichererbsen, und teigwaren an einer "bergpesto", hergestellt aus wild gewachsenen brennesseln der region. was für ein festessen und was für ein herzerwärmender abend
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so zeigten sich mir am bei der anreise die berge, in die ich steigen würde
am ersten tag besuchte ich alte dörfer an der via delle borgate
am zweiten auf dem weg zum pian delle gorre die monumentale klosteranlage certosa di pesio
am dritten tag unterhalb eines ersten passes auf dem weg zum rifugio garelli beeindruckten mich die herbstlichen farben und die wie hügel anmutenden berge am horizont. aber regen setzte dem malen abrupt ein ende
meine route war landschaftlich und kulturell sehr abwechslungsreich, denn sie führte von alpinen in mediterrane regionen. ich möchte sie allen liebhabern von ausgedehnten wanderungen in einsame, abwechslungsreiche und schöne gebiete ans herz legen. detailliert beschrieben wird sie im buch ligurische alpen von werner bätzing und michael kleider. sie führte mich in 12 tagen von san bartolomeo im valle pesio nach pian delle gore, zum rifgio garelli, rif. mondovis, nach viozene, zum rif. don barbera ...
danach durch die alten und traditionsreichen villages perchés realdo, triora, pigna, castelvittorio, baiardo, apricale und perinaldo, die sich an steile berge klammern und so einst schwer einnehmbar waren. ja, wer von unten hinaufwandert spürt dies an den steilen, nicht endenden und ermüdenden treppen und wegen ...
faszinierend und manchmal unheimlich sind die in diesen dörfern typischen, düsteren gassen, in die stellenweise kaum tageslicht dringt
gemütlicher und beschaulicher ist es dann oben auf der piazza
meine wanderung endete bei gewaltigem regen in san remo. als ich dort klatschnass über eine krete in die engen und verwinkelten gassen der altstadt hinunterstieg, genoss ich nochmals dieselbe stille wie in den villages perchés der vorangehenden tage
schlagartig endete dieser traum, als ich unten angekommen in eine erste shoppingmeile geriet. ach, ich hatte diese leere konsumwelt tatsächlich vollkommen vergessen gehabt, denn die ganze zeit über hatte es höchstens mal einen einfachen lebensmittelladen in einem dorf gegeben ... falls überhaupt
aber auch san remo kennt gemütliches flanieren und absichtsloses zusammensein auf den plätzen der altstadt
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unerwartet, berührend und wertvoll waren mir in dieser zeit die zahlreichen begegnungen, für die ich unendlich dankbar bin. sie sind in keinem reiseführer zu erfassen. dafür muss man selbst einstehen. vielleicht gerade weil diese region so einsam ist, wurden die begegnungen so intim und herzerwärmend wie selten sonst. ebenso wie den besitzer des rifugio in realdo hat mich guido colombo beeindruckt, der gemütvolle gestore (hüttenwart) vom rifugio garelli, der das haus seit 38 jahren führt. mit einem breiten lachen hat er sich als mulattiero bezeichnet, als einfachen maultiertreiber. neben seinem botanischen garten zum erhalt von alpenpflanzen und seinem kleinen gemüsegarten schaut einem immer mal wieder keck tatsächlich sein maultier entgegen. bevor das rifugio mit dem helikopter beliefert werden konnte, stieg er pro woche 7 mal mit ihm zum einkauf ins tal, manchmal zwei mal am tag ... und wenn die saison vorbei ist, will er, so wie ich, ans meer, aber mit maultier und zelt, wo er ungestört an einsamen orten nächtigen und sich von der turbulenten saison erholen kann. - und dann waren da noch guido und maria, zwei wandernde wie ich, die mich nach cuneo eingeladen haben und mir die stadt zeigen möchten, wenn ich wieder in die gegend komme. unsere gespräche wollten kein ende nehmen. da meinte guido, eigentlich längst zum aufbruch bereit: "tja, die berge laufen ja nicht weg!" - siehe weiter unter feedbacks
vor der rückreise in den kühlen norden nochmals schwimmen gehen im temperierten herbstmeer, selbst an einem stürmischen tag, früh am morgen noch vor dem frühstück - wie herrlich!
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p.s. - über erscheinungen
zwar habe ich keine hexen angetroffen in triora ... unterwegs aber andere seltsame erscheinungen, in der mehrzahl männliche. (es waren ja auch männer gewesen, welche frauen zu hexen deklariert hatten und sie dann verfolgen und verbrennen liessen)
als ich mich einmal zur orientierung mit der karte auf einen stein am wegrand gesetzt hatte, landete mit lautem knall ein weiterer mann neben mir, ein rowdybiker in vollmontur. nach einer rasanten fahrt krümmte er sich jetzt neben mir zusammen, ächzend und schwer atmend. weisses haar schimmerte unter dem helm hervor, das rechte auge war unter einer schutzbrille bandagiert. er fuhr also einäugig! kein beruhigender anblick. er gehörte zur generation ü60 und schien ungebrochene jugendlichkeit beweisen zu wollen, aber die szene liess eher an herzinfarkt denken. nur dass sich bei mir nicht die spur von mitleid regte. sein kollege, der schon vor einer weile angekommen war, schaute schon gar nicht hin. solche vorfälle gehören zum rowdyradeln wahrscheinlich einfach dazu, denn nach einiger zeit gab sich unser mountainbiker wieder fit und grüsste mich mit einem lässigen "servus". mein weg erwies sich als steiler pfad hinunter in einen föhrenwald. ich freute mich auf eine gute stunde gehens in angenehmem rhythmus und wünschte den beiden beim aufbruch eine schöne weiterfahrt. ich habe keine antwort bekommen. ja, wie kann eine auf höchstleistung ausgerichtetes tun wirklich schön sein? ich hatte das falsche gewünscht
an der grenze zwischen frankreich und italien locken auf 2000 m.ü.m. zahlreiche alte armeestrassen mit fantastischer fernsicht nicht nur wandernde sondern auch motorrad- und offroadfahrer. letztere füllen dann ein ganzes tal mit monströsem lärm
zum glück waren diese erscheinungen selten. gerade in einer so stillen landschaft offenbarten sie die verbreitete bereitschaft von uns menschen zu brutaler gewalttätigkeit gegenüber dem eigenen körper und dazu, die natur um uns herum egoistisch und hemmungslos zu versauen. zwar gelten die beschriebenen verhaltensweisen längst als normal. ja, wir reklamieren ein recht darauf zu haben und verweisen stolz auf unsere technologischen fortschritte. aber sie illustrieren, wie an vielen anderen orten ebenso, wie gleichgültig das schicksal der natur und unseres planeten uns in wirklichkeit ist. da ist auch in unserem benehmen ein grosser fortschritt zu verzeichnen - das stetige voranschreiten einer subtilen form von degeneration