wer zeichnet braucht nerven


3. versuch - es beginnt etwas zu werden ...
viele menschen behaupten, sie könnten nicht zeichnen, und lassen es entmutigt sein - ein resultat, das vor allem auf fehlende fähigkeiten von lehrkräften verweist, denn zeichnen ist nicht eine sache des talents, sondern des durchhaltens. alle, die trotz entmutigung weiterhin zeichnen, werden gründlich mit der erfahrung des scheiterns vertraut - der unabdingbaren voraussetzung für lernen, wachsen und reifen. wer durchhält wird natürlich ebenso erfahren, wie gelingen sich einstellt. scheitern und gelingen wechseln sich andauernd ab, eine wesentliche lehre fürs leben überhaupt


john berger formuliert es in "bentos skizzenbuch" (p. 57/58) so:
"Ich beginne zu zeichnen. Korrigiere Fehler um Fehler. Manche nebensächlich. Andere nicht. ... Der Anfang misslingt. Ich blättere um und beginne von vorn. Ich mache nicht zweimal den gleichen Fehler. Aber mir unterlaufen andere. Ich zeichne, korrigiere, zeichne." 
diese erfahrung machen ausnahmslos alle. nur ganz selten gelingen zeichnung so, dass man nicht noch etwas korrigieren könnte




1. versuch - bin nicht zufrieden
2. ... in den papierkorb - so-fort!
3. siehe oben
warum dann überhaupt weitermachen?
  1. zeichnen ist eine betätigung, die sich selbst genügt, eine sinnliche erfahrung, die an sich freude bereitet - unabhängig vom resultat
  2. man lernt genau hinsehen und nimmt die umgebung anders wahr
  3. man lernt von zeichnung zu zeichnung sichtlich dazu
  4. während man zeichnet, stellt das gehirn seinen modus wahrnehmbar um: dies mündet in einen zustand stiller versenkung, in der man alles andere vergisst. er wirkt für all jene besonders entspannend, welche über lästiges geschwätz im kopf oder endloses gedankenkreisen klagen - es wird auf wohltuende weise ruhig dort oben!
sich dem scheitern zu stellen braucht allerdings mut - vom ersten strich an. man beginnt in der absoluten leere, auf einem weissen blatt, dessen reinheit man von vornherein nur "verderben" kann. ich kenne kaum eine andere tätigkeit, bei der man sich jedes mal gleich zu beginn in eine so totale leere begibt, es sei denn, es sei erkannt worden, dass in wirklichkeit jeder moment des lebens in der totalen leere des seins entsteht






das gesichtsprofil links war besser, bevor ich es mit tinte überarbeitete ... auch das geschieht. man macht die dinge wieder schlechter! das gesicht rechts gefällt mir, ein wurf in wenigen strichen, welcher leicht karikiert kopfform und gesichtsausdruck des modells recht treffend wiedergibt. beide skizzen befinden sich auf einer seite eines skizzenbuchs mit sonst mässigen bis missratenen köpfen. das modell für die beiden skizzen, auf welche der pfeil verweist, hatte wegen ihrer frisur eine interessante, aber etwas ungewöhnliche kopfform ... in der zeichnung missriet sie wiederholt zu einer zerdrückten pflaume



schliesslich: mit der erfahrung wird man besser. aber dann steigen die ansprüche ... kein grund zur beunruhigung, man wird sich sowieso nie je genügen!

mein pate, der kunstmaler und zeichenlehrer eugen cunz (1918 - 2014), sagte einmal: "das wichtigste arbeitsinstrument des malers ist der papierkorb."