Bildkomposition

Mit diesem Blog möchte ich vor allem Einblick in meine Bilder geben, meiner Freude am Zeichnen und Malen Ausdruck gegen und - so hoffe ich - Resonanz erzeugen. Darüber hinaus erläutere teilweise meine Arbeitsweise. Mit diesem Label versehen sind Posts und Werke, in denen ich auf Techniken, die ich verwendet habe, und/oder auf den Entstehungsprozess von Werken hinweise.

Der Bildkomposition widme ich ein eigenes Label und diese Einführung, weil diesem Aspekt in meiner Ausbildung leider nur selten explizit Aufmerksamkeit geschenkt wurde... wenn überhaupt! Dabei ist gerader dieser für das Gelingen eines Werkes unabdingbar - immer! Das präsentierte Modell setzt sich zusammen aus eigenen Erfahrungen und Hinweisen aus Literatur und Ausbildung. Das Modell ist nicht "mein" Werk und nicht die Wahrheit. Es erfasst und ordnet lediglich Merkmale, die ich nützlich finde und folgt dabei in manchem Modellen aus folgenden zwei Büchern, wenn auch anders gewichtet und geordnet:
- Rolina van Vliet: Abstrakte Malerei in der Praxis, Edition Michael Fischer 2008
- Kees van Alst: Abstrakter Realismus, Edition Michael Fischer 2010


Bildkomposition ist das A und das O

Einzig die Wirkung eines Bild ist von Bedeutung... und nicht das, was ich in der Realität gesehen habe und abbilden wollte, so wenig wie alle  anderen Vorstellungen, die ich im Vorfeld gehabt haben mag. Ob ein Bild Resonanz erzeugt - oder eben nicht - ist die Frage. Ob ein Bild anzusprechen vermag, als ganz, stimmig, harmonisch, ausdrucksstark u.ä. erlebt wird.

Für den Arbeitsprozess bedeutet dies: von dem Moment an, wo ein erster Strich oder Fleck gesetzt ist, geht es nur noch um das, was auf dem Papier, der Leinwand oder jeder beliebigen anderen Unterlage geschieht. Der Aquarellist Oskar Koller sagte es so: "Jeder Fleck muss zu dem nächsten so gesetzt werden, dass eine Steigerung sichtbar und das Weiss des Papiers verwandelt wird." (aus "Das Aquarell" von Oskar Koller, 4. Aufl. 2001, Verlag Georg D.W. Callwey, München)

In meiner Schulzeit wurde auf ganz anderes Wert gelegt, vor allem auf eine realistische - "richtige" - Wiedergabe der äusseren Welt. Das ist wohl lehrreich und sinnvoll, bringt jedoch noch niemanden dazu, ein Bild "richtig" zu komponieren. Weiss man dies nicht, kommt es leicht zu Enttäuschung und Entmutigung: man versteht dann nicht, was los ist, wenn das eigene Werk nicht gelingen will und langweilig wirkt, obwohl man "richtig" gezeichnet hat. Sobald man jedoch um die für eine Komposition wichtigen Aspekte weiss, kann man in jeder Phase des Schaffens ein Misslingen wieder auffangen.

Das Gelingen eines Werkes hat nichts mit dem Bildinhalt - z.B. eine Blume - zu tun hat. Vielmehr hängt umgekehrt das Gelingen - auch einer realistischen Darstellung wie eben einer Blume - vom geschickten Zusammenspiel formaler Aspekte ab.

Anmerkung zum Sehen

Unser Auge arbeitet nicht wie eine Kamera. Es schweift ständig umher und richtet seine Aufmerksamkeit rasch wechselnd für kurze Zeit auf interessierende Brennpunkte, in denen die Wahrnehmung präzis und detailliert ist. Die Umgebung um einen solchen Fokus wird weniger genau wahrgenommen, zum Rand des Sehfeldes hin immer unbestimmter. In einem gelungenen Bild ist diese Tatsache berücksichtigt - egal ob dies dem Künstler auf bewusste oder unbewusste Weise gelungen ist.

Ein Foto kann den beschriebenen Wahrnehmungsprozess in keiner Weise wiedergeben - dafür ist Fotografie zu technisch. Fotoapparate sind heute allgegenwärtig, weil sie in jedem Smartphone eingebaut oder sonst billig zu kaufen und einfach zu bedienen sind. Das hat zu dieser lästigen Flut an nichtssagenden und geschmacklosen Bildern geführt. Für ein gutes Foto reicht es nicht, das Thema in die Mitte zu rücken und dann auf den Auslöser zu drücken, wie das viele glauben mögen. Ein guter Fotograf weiss natürlich um die Gesetze der Bildkomposition und berücksichtigt sie sorgfältig bei seiner Arbeit.

Bildkomposition in der Praxis


Aus dem Gesagten ergeben sich einfache und wichtige Leitlinien für die Bildkomposition.
Brennpunkt. So wie das Auge jeweils nur einen Fokus im Zentrum des Sehfeldes betrachten kann, kommt ein Bild unserem Sehen entgegen, welches sich auf ein oder nur wenige Bildzentren oder Brennpunkte beschränkt. Viele Brennpunkte überfrachten es. Der oder die Brennpunkte sollen selbst im zentralen Feld des Bildes liegen. Ebenso kommt unserem Sehen entgegen, wenn Details, kleine Formen, starke Kontraste und intensive Farben in den Brennpunkten sind.

Aktive und passive Flächen. Aktiv sind die Flächen, wo etwas geschieht, Bewegung, Dynamik wahrzunehmen ist. Hier geht unsere Aufmerksamkeit hin. Aktive Flächen bilden die Brennpunkte. Passive Flächen darum herum sind ruhiger, bestehen aus weniger bestimmten, grösseren Formen, weisen weniger Kontraste und weniger intensive Farben auf. Je näher beim Bildrand diese liegen, desto grösser können sie werden. Sie ermöglichen dem Auge beim Schweifen auf dem Bild auszuruhen.

Die Realisierung der beiden ersten Leitlinien mündet in eine bewusst gewählte Flächenaufteilung.

Vorder- und Hintergrund sind weitere Aspekte des natürlichen Sehens, die in einer geschickten Komposition berücksichtigt werden.
Keine Regel ohne Ausnahme! - auch hier. Diese Leitlinien sind nicht in Stein gemeisselt, sondern dienen als Orientierung und praktische Hilfe. Je besser man die Bildkomposition beherrscht, desto mehr kann man ihre Regeln brechen, um gerade auf diese Weise eine Wirkung zu erzeugen. So kann man ein Bild mit Brennpunkten und aktiven Flächen überfrachten, um z.B. Lärm, Unruhe und Hektik einer Grossstadt zum Ausdruck zu bringen. Oder man kann für einen bestimmten Effekt den Brennpunkt bewusst an den Bildrand platzieren. (s. Beispiel 1 unten)

Elemente für den Aufbau einer Komposition

Primäre Bildelemente 

sind die formalen Elemente, aus denen sich jedes Bild zusammensetzt und die es geschickt einzusetzen und zu kombinieren gilt. Die ersten beiden haben Vorrang gegenüber den anderen. Wenn bei den Formen und in den Tonwerten etwas nicht stimmt, wird ein Werk als irgendwie nicht stimmig wahrgenommen. Hier nur einige wenige Anmerkungen.
  1. Form - Gestalt der Formen, ihre Lokalisierung in einem Format, Proportionen, Verhältnis der Formen zueinander sind wichtige Aspekt, jedoch ebenso die Wahl des Formats, in dem das Bild dargestellt wird. In realitätsnahen Bildern sind nicht so sehr Details wichtig, sondern dass Proportionen und Richtungen stimmen, z.B. der einzelnen Körperteile bei der Darstellung von Menschen. Vor allem darauf stützt sich das Wiedererkennen in unserer Wahrnehmung ab. 
  2. Tonwert - Hell und Dunkel sind für das Auge bedeutsamer als Farbe. Dieser Aspekt dominiert und hat für eine realistische Darstellung Priorität gegenüber Farbe. Stimmen die Tonwerte nicht, kann ein Bild nicht gelingen. Hingegen bleibt ein Bild selbst bei absichtlich falsch gewählten Farben noch stimmig, solange die Tonwerte stimmen. 
  3. Farbe - siehe Literatur zu verschiedenen Farblehren 
  4. Linie 
  5. Struktur - Maluntergründe, allein schon die unterschiedlichen Strukturen verschiedener Papiere, Maltechniken - wie man z.B. einen Pinsel einsetzt - etc. spielen eine Rolle speziell für den Hintergrund, beleben z.B. passive Flächen. In der abstrakten Malerei, die auf jeden Inhalt verzichtet, ist Struktur ein wesentliches Gestaltungselement.

Sekundäre Bildelemente

Hier geht es um das, was einem Bild Einheitlichkeit oder Zusammenhalt gibt und was ihm Dynamik verleiht. Das Zusammenspiel beider Aspekte macht ein Bild interessant.

Einheitlichkeit entsteht durch
  • Harmonie z.B. von Farben, Linien etc.
  • Wiederholung - Variationen
  • Rhythmus
  • Balance
Dynamik entsteht durch
  • Aktion - im Brennpunkt
  • Bewegung
  • Richtung, Perspektive
  • Kontrast - Abstufung 


Beispiel 1 - Figürliches Bild


Ein exzentrisches Beispiel, da der Brennpunkt - das Porträt - mit Absicht an den Bildrand gesetzt wurde.

Viele und grosse Kontraste erschaffen die Spannung in diesem Bild. Da ist einerseits über der menschlichen Figur eine grosse passive Fläche, zugleich der Bildhintergrund: leer, in blassen Farbtönen ohne jeden Kontrast, lediglich belebt durch etwas Struktur schenkt er dem Auge kaum Anhaltspunkte. Alles bleibt unbestimmt. Im Gegensatz dazu der Vordergrund, Ort der Aktivität: eine kleine menschlichen Figur, klar konturiert durch präzis gezeichnete Linien, bestehend aus deutlich abgegrenzten Formen versehen mit starken Tonwertunterschieden. Gerade die Dunkelheit des Gewandes und die schwarzen Linien sind es, welche unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen

Die Farben Rosa und Blau finden sich in derselben Tonalität sowohl in Gesicht und Haar wie auch im Hintergrund und schaffen bei den vielen Kontrasten die für das Bild notwendige Einheit. Die Blickrichtung der Frau dagegen sorgt bereits wieder für Spannung: der Blick ist gesenkt. Man weiss nicht genau, wohin er führt - gewiss nicht in das Bild hinein sondern direkt aus dem Bild hinaus (noch ein Regelbruch!). Vielleicht auch wendet sich der Blick nach innen. Wohin schaut sie? Die Antwort muss noch viel unbestimmter ausfallen als die über der Frau gemalte Leere. Alles um diese Figur bleibt uns verschlossen. Genau das zeigt ihr Gesicht, dessen Ausdruck durch die erwähnten formalen Mittel verstärkt wird. Eine Darstellung voller Geheimnissen.


Beispiel 2 - Abstraktion


Der gelbe Farbstreifen im Mittelfeld bildet einen strahlenden, dynamischen Brennpunkt. Seine fliessende Form geht in rot über. Die einheitlich warme Farbtonalität von gelb und rot bildet den Hintergrund und sorgt so für den Bildzusammenhalt.

Der Vordergrund steht in starkem Kontrast dazu: die Farben bestehen in dunklen, weniger leuchtenden und kühleren Blautönen. Die Formen sind bestimmter konturiert und wirken etwas wie statische Stäbe vor der dynamischen Szene. Sie bilden eine Art Rahmen - wichtig wiederum für den Zusammenhalt des Bildes - um die helle Partie im Mittelfeld. Die Komposition mag an das Glühen eines Feuers in einer dunklen Giesserei erinnern.


Nun bist du dran! Ich kann dich nur ermutigen, die Werke anderer und die eigenen auf diese Weise zu untersuchen. Es wird dich erkennen lassen, woran es liegt und was zu tun ist, wenn du nicht zufrieden bist, wenn ein Werk dir nicht gelingen will... 

Frank Wartenweiler in Zürich/Juni 2016